Geschichte des Detmolder Sommertheaters

„Wie hätte man so etwas dem Erdboden gleich machen können?“ mag sich mancher Gast fragen, der heutzutage durch die modernen Eingangstüren in ein großzügig angelegtes Foyer tritt. War doch für das Gebäude, das 2003 nach der Wiedereinweihung in höchsten Tönen als „wunderbare Kulturstätte“ und „feines Baudenkmal von überregionaler Bedeutung“ gepriesen sowie als Zugewinn und wesentlicher Baustein der „Kulturallee“ der Stadt Detmold tituliert wurde, zehn Jahre zuvor bereits die Abrissgenehmigung erteilt worden. Ein Schandfleck. Hörte man reden. Und dazu noch an einer der Hauptzufahrtsstraßen Detmolds.

Nicht, dass das von Beginn an so gewesen wäre. War die Immobilie doch einstmals ein allseits beliebtes Ausflugsziel, ein Zentrum kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Als dem Gebäude 1993 das endgültige „Aus“ drohte, regte sich Widerstand. Handelte es sich doch schließlich um eines der letzten in Deutschland erhaltenen Sommertheater. 1999 schließlich gründeten Bürger die „Initiative Detmolder Sommertheater“. Zunächst eine Handvoll Enthusiasten, bald schon mehrere hundert Menschen, die den Mut hatten, belebende Signale zu setzen und die mit viel Engagement und persönlicher Einsatzbereitschaft in einer Zeit der Unverbindlichkeiten und des Machen-Lassens voller Tatwille zielstrebig an den Aufbau von etwas Neuem gingen. Die das Vertrauen hatten, inmitten von Rezession und Finanzkrise Ideen, Begeisterungsfähigkeit und Kapital zusammenzubringen, um Theaterleben wieder neu zu begründen. Wagnis und Chance zugleich.

Und allen Unkenrufen zum Trotz – nach viel Überzeugungsarbeit, mit beherzter Tatkraft und Erfolgsglauben sowie enormen Anstrengungen, um die Finanzierung zu stemmen, ließ die „Wiederaufbaugemeinschaft“ ihre Vision Wirklichkeit werden: 2003 erstrahlte das Theater in neuem Glanz. Das denkmalgeschützte Gebäude war gerettet, ein schlüssiges Nutzungskonzept erarbeitet. Es war geglückt, das Haus als lebendige Kulturstätte wieder aufzubauen.

 

Entwicklung und Positionierung jenseits des Tagtäglichen – von Anfang an durchzieht dieser Anspruch die Historie des Sommertheaters: Die wechselvolle Geschichte des Saal- und Theaterbaues mit seiner Schweizer Holzarchitektur, seinem Sparfachwerk und dem Bühnenhaus mit Drempelkonstruktion begann 1898. Und wie heute galt offensichtlich auch damals: Was in den Metropolen vorgelebt wird, ist Lifestyle: Der Kaiser kurte wiederholt in Bad Pyrmont – ergo war es schick, die Sommerfrische im Teutoburger Wald zu verbringen. Also: Auf nach Detmold.

 

Einer, der in jenen Jahren nicht nur den Finger am Puls der Zeit hatte und wusste, was im Trend lag, sondern auch mit dem nötigen Weitblick schaute, war Heinrich Dütemeyer. Längst hatte der clevere Geschäftsmann sich das landschaftliche Potenzial zunutze gemacht und erkannt, dass Residenzstadt und Teutoburger Wald sich zu einem beliebten Urlaubsziel gemausert hatten. 1880 hatte er die heute noch existierende Gastwirtschaft, den „Neuen Krug“ erworben und in den Folgejahren umfassende Erweiterungsbauten errichtet (unter anderem Brauerei, Gasthaus, Bierhalle und Eishaus) sowie Modernisierungen vorgenommen. Das Gesamtensemble der Gebäude in landschaftlich attraktiver Umgebung avancierte zum beliebten Ausflugsziel. Eine kleine Vergnügungsmeile vor den Toren der Residenzstadt war entstanden. Ein Anziehungspunkt, der nicht nur für Sommerfrischler Kurzweil bot, sondern auch mit kulturellen Veranstaltungen für Abwechslung sorgte. Das Umfeld stimmte, die Nachfrage boomte, das Geschäft blühte und Heinrich Dütemeyer expandierte.

 

Mit seinem in kürzester Zeit neu errichteten Sommertheater schuf er ein Podium, auch größerem Publikum Zugang zu Theater zu bieten. Auf dem Programm standen neben Lustspielen und Schwänken auch aktuelle Stücke zeitgenössischer Dramatiker. Besonders große Resonanz erfuhren zeitkritische Theaterstücke, die am benachbarten fürstlichen Hoftheater nicht gespielt wurden. Was geboten wurde, war „modernes und qualitätvolles Theater“ mit anspruchsvollem Spielplan und einem angesehenen Ensemble. Kurzum – ein Erfolgsmodell: Das Theater florierte. So gut wie jede Vorstellung war ausverkauft.

Unterdessen vergeht die Zeit. Das Jahrhundert schreitet voran. Dezennien verstreichen. Es wurde an-, aus- und umgebaut. Irritiert, erstaunt oder vielleicht sogar belustigt, registriert der Beobachter, was sich im Laufe der Jahrzehnte verändert. Ein Haus im Wandel: Bereits in seiner Blütezeit diente es als Saalbau des „Neuen Kruges“ nicht nur als Theater, sondern auch für Veranstaltungen verschiedenster Couleur. Zunächst für Vereinsfeste, Familienfeiern, Tanzveranstaltungen, Filmvorführungen. Viel später dann beherbergt das Bauwerk unter seinem Dach eine Diskothek, war Antiquitätenlager oder wurde zum China-Restaurant umfunktioniert.

Heinrich Dütemeyer? Hatte zu diesem Zeitpunkt längst das Zeitliche gesegnet. Was zuletzt bleibt, ist eine Ruine. Ein heruntergekommenes Bauwerk, bei dessen Anblick nichts mehr an die Hochzeit des langgestreckten Fachwerkgebäudes Anfang des 20. Jahrhunderts erinnert. Aber auch ein Gebäude, das gleichzeitig ein Stück lebendiger Kulturgeschichte spiegelt. Geschichte mit Zukunft. Wie sich zeigt.

Und so ist es fast ein bisschen, als habe sich 2003 ein Kreis geschlossen: Ein Stück Vergangenheit erwacht zum Leben. Das Sommertheater entwickelt ein eigenes, dem ursprünglichen Nutzungsgedanken angemessenes Profil: Hier ist Platz für großes Theater und kleine Kunst. Für Familienfeiern und Firmenfeste. Für Seminare, Präsentationen und Workshops, Empfänge,Hausmessen, Ausstellungen. Kreative Köpfe mit Blick auf Entwicklungsmöglichkeiten tragen den veränderten Bedingungen, Ansprüchen und Bedürfnissen Rechnung. Das ist Aufbruch und Traditionsbewusstsein zugleich.

Und eine Einladung. Zu Begegnung. Zu Theaterkunst. Und zu genussreichen Momenten.